Home
Deutschlandfunk71114
Schabowskis Irrtum
Hertle: Mauerfall
Mauerfall 9.11.1989
"Wann?" und "Sofort"
Ehrman /Brinkmann
Presse Wien 29.03.14
Buchauszug König 201
Buchauszug Mauerfall
Zeuge vor Ort /Buch
Mauerfall TAZ 5.10.0
Plakat BM Justiz 14
Buch - Erläuterung
Express Feb 2014
Bundeszentrale 250
TIME 29. 06.09
BerlinerKurier18.4.9
Lothar de Maiziere
Euractiv Artikel 200
Interview Gyula Horn
DDR Korrespondent
Schlagzeilenjagd
Saddam Hussein
Kuba Fidel Castro
Israel Scharon u.a.
Israel Gaza 2009
Berliner Kurier
Reportagen
TV Stadtgespräch
TV Berlin
Maischberger Spiegel
european-circle.de
Interviews
Berichte
Grass 1965 CLP
Kontakt
Link
Sitemap
Impressum

ARTIKEL aus www.european-circle.de

 

Interview mit dem Direktor des CFEP Daniel Gros

Was wird aus Europa?

Brüssel - Finanzkrise, Bankencrash, Schuldenchaos in einigen EU-Ländern wie Griechenland - was wird aus Europa? Daniel Gros ist Direktor des Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel. Bei einem „Berlin Lunchtime Meeting“ im DIW sprach Peter Brinkmann für unser Magazin "European Circle" (EC) mit Dr. Gros.

 

Daniel Gros (Foto: Peter Binkmann)

European Circle: Europa strauchelt. Oder stehen wir sogar schon am Abgrund? Was muss dringend geschehen?

Gros: Es muss gehandelt werden. Ich schlage vor: Analog zum Internationalen Währungsfonds schaffen wir einen Europäischen Währungsfonds.

European Circle:  Was wäre dann anders?

Gros: All die Länder, deren Staatsschulden die Maastrichter Kriterien überschreiten, müssen hier einzahlen. Nach diesen KRITERIEN darf das jährliche öffentliche Defizit (Nettoneuverschuldung) nicht mehr als 3 % des Bruttoinlandsproduktes betragen. Staaten in Finanznot könnten mit Mitteln des Fonds gerettet werden, bekämen im Gegenzug ein Sanierungsprogramm verschrieben. Im Pleitefall könnte der Fonds die geordnete Insolvenz, also eine anteilige Bedienung der Gläubiger des Landes aus dem Restvermögen, organisieren.

European Circle:  Also geordneter Staatsbankrott, was es ja bisher nicht gibt?

Gros: Ja, derzeit gilt eben der Satz von Christian Morgenstern: "Was nicht sein darf, das nicht sein kann".

 

Krisentaumel in der EU

European Circle: Also geschieht nichts, und Europa taumelt weiter von einer Krise zur anderen.

Gros: Gefährlich wird es erst, wenn die Banken in Gefahr sind. Also wenn z.B. die Griechen selbst ihre Einlagen bei ihren Banken abziehen würden. So war es 2001 in Argentinien. In Griechenland sind wir noch nicht an dem Punkt angelangt.

European Circle: Aber Spanien, Italien, Portugal sind doch auch schon fast an diesem Punkt angelangt, wo die Bürger den Banken misstrauen…

Gros: Das kann ich nicht voraussehen und ich glaube, niemand kann das zurzeit. Da ist eben viel Hoffnung dabei.

European Circle: Hoffnung auch auf Hilfen von den anderen EU-Partnern?

Gros: Das würde nur heißen, die Griechen bekommen mehr Geld. Aber wofür werden sie es verwenden? Vor allem aber sprechen die EU-Partner ja immer nur mit der Regierung. Die wird alles versprechen, was aber macht man, wenn das Volk dagegen stimmt? 

European Circle: Was ist denn falsch gelaufen in Europa?

Gros: Na ja, ich denke, dass der Stabilitätspakt versagt hat.

European Circle: Was sollte er regeln?

Gros: Der Stabilitätspakt sollte zu soliden Finanzen führen. Das Ziel war es, dass im Durchschnitt der Haushalt ausgeglichen sein sollte. Wenn Griechenland die Vorgaben des Paktes eingehalten hätte, wäre es heute nicht in dieser Krise.

European Circle: Weil die Griechen ja auch geschummelt haben…

Gros: Leider ist das so. Griechenland hat die Zahlen gefälscht. Und schlimmer noch: Selbst auf Basis dieser gefälschten zahlen wurde der Pakt nicht eingehalten.

European Circle: Deutschland hat sich aber auch nicht dran gehalten…

Gros: Richtig. Sie haben ihn sogar mit Frankreich und Italien in dem Moment verwässert, als sie selbst mit dem 3 Prozent Defizitkriterium Probleme hatten. Danach war es dann schwieriger, Länder wie Griechenland unter Kontrolle zu halten.

 

Gefahr für die ganze Euro-Zone?

European Circle: Gerät damit nicht auch das ganze Währungssystem mit dem Euro in Gefahr?

Gros: Hätte Griechenland eine eigene Währung, würde ihm vielleicht das Schicksal von Island drohen. Und Irland hat es ja auch innerhalb der Euro-Zone geschafft, das Ruder herumzureißen...

European Circle: Mit bitterer Medizin..nämlich Lohnkürzungen.

Gros: JA! Aber es hat funktioniert. Lohnkürzungen im Privatsektor sind unerlässlich, um ein Land zu sanieren. Nur mit Lohnkürzungen kann Griechenland wieder Wettbewerbsfähig werden und damit die eigene Wirtschaft stärken.

European Circle: Und wenn es nicht geschieht?

Gros: Ohne Senkung der Lohnkosten kommt Griechenland in eine Spirale aus Ausgabenkürzung, die dann die Binnennachfrage schwächen wird und dann wieder zu Steuerausfällen führt und  somit weitere Kürzungen erfordern würde. So jedenfalls wird die Haushaltskonsolidierung nicht gelingen.

 

Analyse: Island und Irland

European Circle: Was ist eigentlich in Island und Irland falsch gelaufen?

Gros: In nur fünf Jahren stiegen die Kurse auf der kleinen Börse von Reykjavík um das Fünffache Dagegen wirkte der Deutsche Aktienindex DAX, der sich „nur" verdoppelte, richtig langweilig. Die warnenden Stimmen in Island, aber auch in den Risikoabteilungen der Banken wurden bei einer solchen Erfolgsstory überhört. Sogar die Rating-Agenturen ließen sich von dem trügerischen Schein des Erfolgs täuschen. Die größte isländische Bank bekam die Bestnote "AAA". Damit öffnete sich die Tür zu noch mehr Krediten, und das Rad konnte sich noch weiter drehen. Aber lange konnte es nicht so weitergehen. Nach dem kurzen Boom kam der spektakuläre Crash: Die Börse verlor 95 Prozent in zwei Jahren und lag  am Ende nur noch bei einem Fünftel des Ausgangsniveaus von vor zehn Jahren.

European Circle: Und in Irland?

Gros: Irland hatte einen ähnlichen Immobilien – und Finanzmarktboom. Irland und Island unterscheiden nur zwei Buchstaben. Wenn man genauer nachdenkt, sind es aber zwei: E und U. Ohne EU wäre den Iren dasselbe passiert wie den Isländern. Ihre Banken wären in die Pleite gerutscht und der Staat hätte nicht genug Geld aufbringen können, um sie zu retten. Die EU und der Euro als stabile Währung haben das Land vor dem Abgrund bewahrt. Es hat damit keinen Druck auf die Währung gegeben. Hätte Irland noch das Pfund gehabt, hätte diese Währung in der Zeit der Finanzkrise massiv abgewertet.

 

Auch Großbritannien steht vor massiven Problemen

European Circle: Ein andere EU-Land, das aber nicht in der Eurozone ist, ist ebenfalls am abdriften: Großbritannien. Was ist dort passiert?

Gros: Wenn die britische Regierung den Bankenapparat durch Kapitalzufuhr weiter aufbläst wie einen Luftballon, nur um Arbeitsplätze zu schaffen, wird es gefährlich. Das Schlimmste wäre, wenn der Staat auch in den nächsten Jahren Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft finanziert. Dann könnte das einen weiteren Boom provozieren und zu einer Überdosis führen. Wie ein kranker Patient, würden die Briten denken: „Aufgrund der Medikamente läuft ohnehin alles prima, ich fühle mich gesund, warum soll ich meinen Zustand hinterfragen?" Die Briten wären damit animiert, weiter zu konsumieren - so wie die Amerikaner -, als ob nichts passiert wäre. Wenn die britische Regierung nicht versteht, dass in ihrem Land das Potenzial für ein ähnliches Schicksal wie in Island besteht, droht Gefahr. Das sehen Außenstehende oft schneller als so genannte "Insider". Selbstüberschätzung kann in den Abgrund führen, das hat auch das Beispiel Island gezeigt. Am Ende könnte Großbritannien ein Sanierungsfall für die Europäische Zentralbank sein.

European Circle: Aber London gilt doch immer noch als einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt?

Gros: Wenn London weiterhin ein Bankenzentrum bleibt, werden die Banken größer, während gleichzeitig die öffentlichen Finanzen schwächer werden. Ein Teufelskreis, der Großbritannien zu einem schwierigen Patienten macht. Heute hat es zwar noch die höchste Note AAA der Agenturen. Wenn die Schulden aber weiter explodieren, könnte es mit der freundlichen Bewertung bald vorbei sein. 

European Circle: Großbritannien also auf dem Weg nach unten?

Gros: Tatsächlich sehen viele Rating-Agenturen nach dem ersten Schock der Finanzkrise Großbritannien auf dem absteigenden Ast. Im Dezember 2009 sind Großbritannien und die USA immer näher an den unteren Rand des Bereichs erstklassiger Bonitätsnoten gefallen. Infolge der globalen Finanzkrise verschlechtert sich in beiden Ländern die Lage der öffentlichen Haushalte, heißt es im 4. Quartalsbericht 2009 von "Moody's". Großbritanniens Schulden werden laut letzten Prognosen 2010 auf knapp 90 Prozent des BIP anwachsen. Die Bank Citigroup prescht mit viel härterer Kritik vor: "Die Fundamentaldaten für Großbritannien sind düster und rechtfertigen die AAA-Ratings nicht", sagt Analyst Mark Schofield, der bei Citigroup in London die Zinsstrategie leitet. "Großbritannien werde das gute Rating nur behalten, wenn im Haushalt drakonische Maßnahmen ergriffen werden."

European Circle: Und wenn nicht?

Gros: Kommt es zu einer neuerlichen Wirtschaftskrise in Großbritannien, wird es extrem eng, weil das Budget schon ausgequetscht ist wie eine Zitrone. Dann könnte die britische Regierung ihre Währung nicht mehr stützen, weil sie ihr Geld schon zuvor verpulvert hätte und damit die Finanzkraft ausgeht, massiv gegenzusteuern. Die ungeliebte Europäische Zentralbank wäre dann vielleicht der letzte Rettungsanker. Nicht ausgeschlossen ist also, dass die Heilige Kuh, das Pfund, am Ende doch geschlachtet und zu einem historisch schlechten Wechselkurs gegen den Euro getauscht werden muss. Großbritannien wird nicht als großer Gewinner aus der Krise aussteigen, es könnte zu einem der großen Verlierer werden, wenn die Zeichen der Zeit nicht erkannt werden.

 

Ost- West Schere in der EU

European Circle: Die EU besteht heute nicht nur aus Staaten im Westen, sondern auch aus den ehemaligen kommunistischen Staaten. Was wird das in Zukunft für Folgen haben?

Gros: In einigen Jahrzehnten wird es im Osten Europas gleich viele reiche Staaten geben wie im Westen. Der Aufholprozess wird schneller über die Bühne gehen als erwartet. Die alten EU-Länder, allen voran Deutschland sind tatsächlich alt, satt und behäbig geworden. Die Menschen in Polen erwartet hingegen eine positive Zukunft. Zu Recht: Polen könnte Deutschland überholen.

European Circle: Welche konkreten Indikatoren gibt es dafür?

Gros: Fast nirgendwo in Europa sind so wenige Arbeitskräfte im Bildungssektor beschäftigt wie in Deutschland und Österreich. In Deutschland sind es weniger als sechs Prozent gegenüber mehr als neun in Großbritannien und über sieben Prozent in Polen. Andere Länder investieren also mehr in die Ausbildung ihrer Bevölkerung als Deutschland oder Österreich.

European Circle:  Mit welchen Folgen für Deutschland?

Gros: Das Institut der Bertelsmann Stiftung hat im November 2009 berechnet, dass die schlechte Bildung Deutschland bis zum Jahr 2090 rund 2800 Milliarden Euro kosten wird. Jeder fünfte 15-jährige Deutsche kommt heute nicht über das Grundschulniveau hinaus. Das wird Deutschland nicht zum High-Tech-Staat, sondern zum Land der Hilfsarbeiter machen und die Wirtschaft für die nächste Generation weit zurückwerfen.

European Circle: Und Polen überholt Deutschland?

Gros: Der Vergleich mit Polen ist interessant, weil dieses Land heute noch nicht als ernsthafter Konkurrent wahrgenommen wird. Wenn man einen Index bildet, der die Akademiker-Quote mit den PISA-Resultaten verknüpft (um die Qualität der Schulen zu messen), kommt Polen auf einen Wert von über 120 gegenüber 100 für Deutschland und nur 85 für Österreich. Polen wird in den nächsten Jahren weiter den Turbo einlegen, während Deutschland auf der Bremse steht. Dass Osteuropa aufholt, ist kein Geheimnis. Überraschend ist aber die Geschwindigkeit, mit der Polen Reformen durchzieht und aufholt. Polen ist im Durchschnitt zwei Prozent pro Jahr schneller gewachsen als Deutschland. Wenn es so weiter geht, kann Polen schon in der nächsten Generation wirtschaftlich besser dastehen als Deutschland.

European Circle: Mit der Krise in Griechenland ist auch die Angst um stabiles Geld wieder da. Kommt die große Geldentwertung?

Gros: Diese Angst ist derzeit - zumindest für Europa - unbegründet. Dafür sprechen folgende Argumente: 1.) Die Geldentwertung wird angeheizt, wenn die Löhne massiv steigen, so wie etwa in den 70er-Jahren. Das Gegenteil ist derzeit der Fall. Die Löhne sinken, viele Unternehmen kürzen Boni, verschlechtern Kollektivverträge.

2.) Die Europäische Zentralbank hat die Inflation im Griff. Als politisch unabhängige Institution kann sie schnell agieren, das ist einmalig in der Welt.

3.) China hilft Europa und den USA, die Inflation zu dämpfen.

European Circle: Wie denn?

Gros: China produziert mehr, als die Chinesen verbrauchen können und exportiert den Großteil der Güter ins Ausland. Weil damit ein Überangebot an Gütern "Made in China" provoziert wird, sinken die Preise. So günstig waren Gewand, Schuhe, Elektronik-Artikel noch nie. Das heißt: Obwohl die Europäer nicht viel mehr verdienen, können sie sich mehr Güter mit ihrem Gehalt leisten. Vor zwei Jahrzehnten hatte kaum jemand fünf Jeans im Kasten hängen oder zwei Fernseher in der Wohnung stehen. Nun ist das keine Seltenheit.

Warum? Der Euro ist seit dem Aufstieg Chinas als billige Werkbank der Welt mehr wert. China dämpft mit der günstigen Produktion von Gütern die Inflation in Europa und den USA.

[Peter Brinkmann]

Infos zur Person

Daniel Gros ist promovierter Ökonom und Direktor am Centre for European Policy Studies (CEPS), einem unabhängigen Brüsseler Forschungsinstitut für Europapolitik Im Ecowin Verlag ist soeben sein Buch "Nachkrisenzeit" zusammen mit Sonja Sagmeister erschienen: erschienen: 236 Seiten, 21,50 Euro.

bookmark at mister wongpublish in twitterbookmark at del.icio.usbookmark at digg.combookmark at furl.netbookmark at linksilo.debookmark at reddit.combookmark at spurl.netbookmark at technorati.combookmark at google.combookmark at yahoo.combookmark at facebook.combookmark at stumbleupon.combookmark at propeller.combookmark at newsvine.combookmark at jumptags.com
Peter Brinkmann  | brinkmann.peter@gmail.com