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    2.Mai 1999:

Macht das Tor auf

           Exklusiv-Interview mit Gyula Horn, der vor 10 Jahren den

           Grenzzaun durchschnitt und den Weg zur deutschen Einheit

           frei machte

 

 Heute vor zehn Jahren öffnete Ungarn seine Grenzen zum Westen. Am

 27. Juni 1989 durchschnitt der damalige ungarische Außenminister

 und spätere Ministerpräsident Gyula Horn zusammen mit seinem

 österreichischen Kollegen Alois Mock den Stacheldrahtzaun bei

 Sopron am Neusiedlersee. Sie machten den Weg für Tausende von

 DDR-Bürgern frei, die so die Mauer in ihrer Heimat umgingen. Wie

 es dazu kam, welche Gefahren und Konflikte damit verbunden waren,

 darüber sprach der KURIER AM SONNTAG in Budapest mit Gyula Horn.

  

 Die Grenzöffnung am 2. Mai führte letztendlich zum Zusammenbruch

 der DDR und des ganzen sozialistischen Systems. Haben Sie das

 geahnt, ja vielleicht sogar gewollt?

   Ich habe schon 1987 als Staatssekretär im Außenministerium einen

 Vorschlag gemacht, wie der Warschauer Pakt und das Comecon

 demokratisiert werden könnte und müßte. In meinem Vorschlagspaket

 an den damaligen Ministerpräsidenten Karoly Grosz war auch

 enthalten, völlige Visafreiheit, also Reisefreiheit, für die

 Ungarn anzustreben. Jeder Ungar sollte einen Paß bekommen, der

 fünf Jahre gültig und Reisen in alle Länder der Erde ermöglichen

 sollte.

   Und wie war die Reaktion?

   Das Politbüro entschied, den Weltpaß am 1. Januar 1988

 einzuführen. Ungarische Staatsbürger konnten also schon sehr früh

 ohne weitere Devisenbeschränkung reisen.

   Und was war der nächste Schritt?

   Die nächste Konsequenz war daher, zu überlegen, warum wir noch

 schwer bewachte Grenzen benötigten. Nachdem ich am 10. Mai

 Außenminister geworden war, konnte ich an die Umsetzung meiner

 politischen Ideen gehen.

   Mit wem haben Sie diese dramatischen Änderungen besprochen?

   Zunächst mit niemandem. Dann aber mit dem neuen

 Ministerpräsidenten Miklós Németh und im Sommer mit dem

 Innenminister. Er hatte die Oberaufsicht über die Grenztruppen.

   Und was war das Ergebnis?

   Nachdem wir bereits am 2. Mai die Grenzen geöffnet hatten,

 beschloß unsere Regierung, auch die technische Grenze nach

 Österreich zu beseitigen.

   Das bedeutete was?

   Alle Grenzanlagen sollten abgebaut werden. Damit begannen wir

bereits im Mai. Aber es sollte noch einmal deutlich gemacht

 werden, was wir wollten. Und so fuhr ich dann mit meinem Kollegen

 aus Wien, Herrn Alois Mock, am 27. Juni nach Sopron an die Grenze

 zu Österreich. Jeder bekam eine Schere, und wir durchschnitten den

 Grenzzaun, der den Eisernen Vorhang zwischen West und Ost

 symbolisierte.

   Haben Sie die Schere noch oder den Draht?

   Den Draht bewahre ich als Reliquie fürs Leben auf. Die Schere

 gab ich den Grenztruppen zurück.

   Wie war die Reaktion der "Bruderländer", insbesondere der DDR?

   Sie schäumten. Wir haben daher nicht ohne Grund, weder die DDR

 noch Moskau von unseren Bemühungen, die Grenze zu öffnen, früh

 unterrichtet.

   Fühlte sich die DDR nicht direkt bedroht?

   Ja sicher. Als die Ostdeutschen davon erfuhren, begannen sie

 sofort, zu protestieren und zu drohen. Insbesondere der damalige

 Außenminister Oskar Fischer tobte. Ich habe bewußt damals der

 DDR-Regierung gesagt: ,Wir machen keine Vorschläge, sondern ich

 teile Ihnen lediglich unseren Beschluß mit.' Der Höhepunkt war im

 August, als wir beschlossen hatten, alle DDR-Flüchtlinge, die in

 unserem Lande waren, ausreisen zu lassen. Oskar Fischer rief nur:

 Das ist ja Erpressung. Ja sogar Verrat! Wissen Sie denn, daß Sie

 damit die DDR im Stich lassen und zur anderen Seite überwechseln?

 Das wird schwerwiegende Folgen für Sie haben. So wollten sie zum

 Beispiel gegen Ungarn eine Wirtschaftsblockade verhängen lassen.

   Und Moskau?

   Wir haben Moskau nicht informiert, was wir vorhatten. Hätten wir

 das getan, hätten sie die Grenzöffnung sicher verhindert. Wir

 machten das, damit Moskau nicht reagieren konnte. Ich habe Moskau

 bewußt nicht informiert, damit der Kreml selbst etwas dazu sagen

 mußte. Der ZK-Apparat war sicherlich dagegen. Rumänien wollte

 sogar militärisch intervenieren. Doch Moskau war dafür nicht zu

 haben.

   Wußten Sie, ahnten Sie, was Sie mit der Grenzöffnung in Bewegung

 setzten?

   Ehrlich gesagt, ich habe diese historischen Folgen nicht

 vorausgesehen. Das war eine Entscheidung, die wir als ungarische

 Regierung aus eigenem, nationalem Interesse getroffen hatten. Mit

 Bonn oder den USA hatten wir im Mai keine Kontakte. Die kamen erst

 später, als die Flüchtlinge sich in Ungarn sammelten, um über die

 Grenze zu gehen. Hier war das Problem zu lösen, wie gehen wir mit

 den Tausenden von DDR-Bürgern um, die hier darauf warteten, in den

 Westen gehen zu können. Und da waren Bundeskanzler Helmut Kohl und

 vor allem der damalige Außenminister Hans Dietrich Genscher eine

 wichtige Hilfe.

   Inwiefern?

   Die DDR wollte unbedingt Ihre Bürger wieder-haben. Ich sagte zu

 meinem Ministerpräsidenten Miklós Németh: "Alle DDR-Bürger

 müssen Ungarn legal verlassen können und dürfen. Dafür müssen wir

 das Abkommen mit der DDR von 1969 kündigen." Das sah vor, alle

 DDR-Bürger, die in Ungarn bleiben wollten, zurückzuschicken.

 Németh meinte: Damit wählen wir von den beiden deutschen Staaten

 jetzt den westdeutschen Staat. Ich aber sagte ihm: Nein, wir

 setzen uns für das Recht der Deutschen ein und wählen Europa.

 Genscher nun war es, der uns dabei half, den Knoten zu entwirren.

 Als Dank schenkte ich ihm im September 1989 ein Stück Stacheldraht

 in einem schönen Etui. Zu Herrn Genscher habe ich immer noch einen

 guten Kontakt.

   Kommen Sie anläßlich der Feiern zum Mauerfall nach Deutschland?

 Ja. Ich bin im Herbst nach Leipzig vom OB eingeladen, würde auch

 gern nach Berlin kommen. Der Westen nahm den Abbau erster

 Stacheldrahtzäune an der ungarisch-österreichischen Grenze am 2.

 Mai 1989 vor allem als Geste. Das Magazin "Der Spiegel" schrieb

 von einer "symbolischen Bedeutung". Die Menschen im Osten

 Deutschlands sahen darin sofort eine Chance. Per Bahn, in ihren

 Trabis und Wartburgs oder als Anhalter machten sich gleich

 Hunderte auf den Weg.

   Nachts versuchten sie, über die Grenze zu kommen, die aber noch

 immer bewacht war. Andere suchten gleich Zuflucht in der

 bundesdeutschen Botschaft in Budapest. Am 7. August drängten sich

 schon 200 Menschen in dem Bau. 12 Tage später veranstaltete die

 "Paneuropa-Union" ein Friedens-Picknick an der Grenze bei Sopron,

 was sich in Windeseile herumsprach.

   Männer, Frauen und Kinder aus der DDR rückten in Scharen an, als

 die hölzerne Grenzabsperrung für eine Delegation einen Spalt

 geöffnet wurde, riefen sie in Sprechchören: "." 600 nutzten die

 Gunst - brachen durch in die Freiheit (Foto).

   Am 10. September gab die ungarische Regierung dann bekannt, daß

 ab sofort alle DDR-Bürger ausreisen dürfen. Der Auftakt zum

 Exitus: An diesem Tag passierten 8100 die Grenze, drei Tage später

 waren es schon 18 000.

2.5.1999 Berliner Kurier

Peter Brinkmann  | brinkmann.peter@gmail.com