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Lothar de Maiziere wird 70 - KURIER-Interview

Helmut Kohl hat mir nie verziehen

"Ich bekam keine Luft, wenn er in meiner Nähe war"

Maiziere
Lothar de Maizière Kaufhold

Berlin - Lothar de Maizière wird am Dienstag 70 Jahre! Wir gratulieren. Es waren erfüllte Jahre, Jahre der Trennung und Jahre der Einheit. Peter Brinkmann sprach mit dem Jubilar über sein Leben.

Sind Sie immer noch der Musterschüler, der Sie früher waren?

Na ja. Es stimmt schon. Ich galt als Streber. Und schauen Sie mal. Hier ist mein Examen als Jurist. Ausschließlich nur ein "Sehr gut". Sogar im Fach Marxismus-Leninismus. Und heute mit 70 Jahren lerne ich wieder etwas Neues.

Was denn?

Englisch! Ich muss das einfach können. Alle Welt spricht Englisch und alle denken, ich kann das auch. Dabei verstehe ich kaum ein Wort. Also lerne ich wieder eifrig. Und irgendwann spreche ich es dann besser..

..als?

..das sage ich besser nicht.

70 Jahre. Was waren die schönsten Jahre in Ihrem Leben?


Das waren die Jahre, die sich als Berufsmusiker gearbeitet hatte. Das war mein Traum und ich hatte ihn mir erfüllt. Mein Vater war strikt dagegen. Er liegt übrigens zusammen mit meiner Mutter dort drüben auf dem Friedhof. Von meinem Schreibtisch in meiner Praxis kann ich direkt auf das Grab meiner Eltern schauen. Und mein Vater wollte immer, dass ich als Ältester Jurist werde. Aber ich war ein Querkopf. Ich wurde Musiker. Davon hatten wir auch schon eine reihe in der Familie.

Und wie wurden Sie dann Jurist?


Nach ca. 10 Jahren wollte mein Arm nicht mehr richtig mitspielen. Also musste ich umlernen. Und meldete mich zum Fernstudium in Jura an.

Ergebnis: Die Note "Sehr gut" in allen Fächern.

So war es. Hier ist die Urkunde. Mit 35 Jahren war ich dann Anwalt. Und meine 2. Karriere begann.

Gab es nie Ärger wegen ihrer Westverwandten in diesem Beruf? Ihr Onkel war schließlich Generalinspekteur der Bundeswehr.

Ärger gab es schon. Und diese Verwandtschaft ersparte mir letztendlich auch den Dienst in der DDR-Volksarmee.

Als Anwalt waren Sie erfolgreich, aber es war noch nicht alles in Ihrem Leben. Die Politik wartete auf Sie.


Ob Sie auf mich gewartet hat, wage ich mal zu bezweifeln. Aber ich war während der DDR-Zeit in der Synode schon aktiv. Dort haben wir Reformprogramme entwickelt. Reformen, die also die DDR verändern, verbessern, demokratischer machen sollten. Das blieb im Westen weitgehend unbekannt. Aber hier wurden die ersten Fäden gezogen. Aber ganz vorn stand ich dabei nie.

Wollten Sie nie die DDR verlassen?

Nein. Ich war ein notorischer Hierbleiber. Meine Mutter verzweifelte allerdings fast an der Teilung. Mein Vater aber sagte: Wir sind vor 300 Jahren aus Frankreich kommend hier aufgenommen worden. Hier blieben wir, wir gehen nicht. Und so wurde ich ein DDR-Bürger mit kritischem Verstand. Was sich dann 1989 auch beweisen sollte.

Dann kam alles anders.


Nach den gefälschten Kommunalwahlen im Mai 1989 kam ich am nächsten Tag zum Gericht und traf dort Rainer Eppelmann. Der hatte dort Anzeige wegen Wahlbetruges gestellt. Ich kannte den streitbaren Pfarrer. Als er mir das sagte, antwortete ich ihm: Dann können Sie mir gleich die Vollmacht unterschreiben, um Sie zu verteidigen. Denn jetzt kriegen sie Sie bestimmt wegen Staatsverleumdung dran.

Was aber nicht geschah. Im Gegenteil, es kam eine Bewegung ins Rollen. Und Sie waren plötzlich dabei.


So plötzlich war das natürlich nicht. Durch die Synode waren wir politisiert. Nach der Eisenacher Synode schrieb ich einen Artikel für die CDU-Zeitungen in der DDR. Darin forderte ich Veränderungen. Das SED-Organ "Neues Deutschland" giftete dann zurück unter der Überschrift: Großdeutsche Ladenhüter aus der Synode".

Von nun an war also klar, dass Sie in eine neue Rolle wachsen würden..

..was dann im November 1989 geschah. Am 10. November, also einen Tag nach dem Mauerfall, wurde ich im Vorstand der DDR-CDU als Nachfolger von Gerald Götting nominiert. Das war mir aber nicht genug Legitimation. Ich wollte einen Parteitagsbeschluss, eine Wahl. Und das geschah im Dezember. Plötzlich war ich also Vorsitzender der CDU in der DDR.

Ihre Rede damals war eher staatsgefährdend im Sinne der DDR..

Das kann man wohl sagen. Ich sprach von Entschuldigung, vom falschen Weg, von der leeren Worthülse die da hieß "Sozialismus". Und zum ersten Mal kam in einer Rede auch die Forderung nach deutscher Einheit vor.

Es geschah Ihnen aber nichts..


außer, dass das "Neue Deutschland" gegen mich wetterte.

Gab es eine Reaktion aus dem Westen? Zum Beispiel vom West-CDU Chef Helmut Kohl?

Nein. Auf dem Parteitag war Eberhard Diepgen dabei. Der fand meine Rede ganz gut.

Ihre politische Karriere war damit begonnen.

Und ich war sofort aktiv. Ich trat für meine Partei, die CDU, aus dem "Demokratischen Block" aus. Damit waren wir plötzlich eigenständig.

Helmut Kohl
Helmut Kohl, sagt Maizière, hat ihm wohl nie verziehen: "Ich glaube nicht. Wir haben nie wieder darüber gesprochen." AP


Gab es da schon Kontakte zwischen Ihnen und dem Vorsitzenden der West-CDU und Bundeskanzler Helmut Kohl?


Nein.

Und warum nicht?

Die West-CDU wollte mit uns nichts zu tun haben. Es gab zwar Ausnahmen wie z. B. Heiner Geißler. Aber für Helmut Kohl und andere waren wir nicht fein genug. Die hielten sich eher an die neuen Parteien wie z. B. den "Demokratischen Aufbruch" um Wolfgang Schnur oder die DSU um Peter-Michael Diestel.

Und wann trafen Sie dann Helmut Kohl zum ersten Mal?


Das war im Februar 1990. Das Treffen kam auf Umwegen in West-Berlin zustande.

Was heißt auf Umwegen?


Es mussten viele Leute viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber dann klappt es. Helmut Kohl kam in den Raum..und ich hatte das Gefühl, mir bleibt die Luft weg. Er erdrückte einen quasi. Er füllte immer den ganzen Raum aus. Das Gefühl ist immer geblieben, dass ich keine Luft mehr bekam, wenn Kohl in meiner Nähe war.

Und worüber haben Sie gesprochen?

Kohl erzählte mir zunächst alles über sein Leben, woher er kam und was er alles erreicht hatte.

Wollte er Ihnen imponieren?

Ich hatte fast den Eindruck. Aber ich ließ mich nicht beeindrucken. Dann kamen wir zur Sache. Ich legte ihm dar, über welche perfekte und vor allem flächendeckende Organisation die CDU der DDR verfügte. Wir waren ja überall vertreten mit Büros. Die CDU der DDR hatte zudem fünf Zeitungen. Darüber konnte außer der SED keine Partei verfügen. Dies hat ihn schließlich überzeugt und wir schlossen unser Bündnis.

Das klingt heute so einfach.

War es aber nicht. Denn da war noch einige Wünsche von Kohl und seinem Generalsekretär Volker Rühe, die wir aber nicht erfüllen wollten und konnten.

Welche?

Rühe wollte, dass wir uns umbenennen. Uns zwar von CDU in DUD. Sprechen Sie das mal aus! Furchtbar! DUD. DUD stand für "Demokratische Union Deutschlands". Das habe ich glatt abgelehnt.

Mit welcher Begründung?


Ich habe Helmut Kohl gesagt: Wir haben nicht 40 Jahre für die CDU in der DDR gekämpft, damit wir uns jetzt einen anderen Namen geben. Diesen Etikettenschwindel mache ich nicht mit. Wir sind wieder eine eigene und vor allem eigenständige Partei unter unserem alten Namen. Und das bleibt so. Ich bin CDU, aber nicht DUD. Grässlich!

Basta haben Sie aber nicht gesagt?

Nein.

Und was wollte er noch?


Dass wir aus der Regierung Modrow austreten. Das aber wollte ich auch nicht. Ich wollte der jetzt in PDS umbenannten SED nicht allein die Politik überlassen.

Damit war denn aber der Grundstein für den Streit mit Kohl gelegt?

Das könnte so sein. Denn da gab es noch einen Vorfall, der erheblichen Unmut erzeugte.

Maiziere Brinkmann
Maizière im Gespräch mit KURIER-Reporter Peter Brinkmann Kaufhold


Welchen?


Wir als CDU in der DDR hatten im September 1990 rund 26 Millionen DM Guthaben. Die West CDU hatte nur Schulden. Kohl wollte also diese 26 Millionen DM haben.

Und Sie haben diese Gelder ihm verweigert?


Nein, ich habe sie vorher restlos bis auf den letzten Pfennig verteilt. Und zwar an unsere Mitarbeiter. Ich wusste, dass diese künftig nicht mehr beschäftigt werden konnten. Also habe ich die Millionen in Abfindungen aufgeteilt. Als nun Kohls Mannen am 4. Oktober 1990 kamen, um meine Millionen zu holen, waren die Kassen leer. Nichts, nicht ein einziger Pfennig war mehr auf den Konten.

Das hat er ihnen wohl nie verziehen?


Ich glaube nicht. Wir haben nie wieder darüber gesprochen.

Wie war denn ihr Verhältnis danach?


Schwierig.

Und wie kam Frau Angela Merkel, die ja ihre Regierungssprecherin war, dennoch zu Kohl ins Kabinett?

Das war ganz einfach. Kohl sagte mir, er wolle eine Frau aus dem Osten in ein weiches Ministerium haben. Ich sagte ihm: Nehmen Sie doch Frau Merkel, die ist blitzgescheit.

Kannte er Frau Merkel schon?


Nein, er hatte sie noch nie vorher ernsthaft zur Kenntnis genommen. Sie war aber schon mit uns in Bonn. Ich war inzwischen Bundesminister im Kabinett Kohl. Und Merkel Mitarbeiterin.

Und was sagte Kohl?


Klar, die nehme ich.

Und dann?

Dann traf ich Angela Merkel im Garten vom Palais Schaumburg in Bonn. Ich sagte ihr: Angela, geh schnell in dein Büro, der Kanzler ruft dich gleich an und bietet dir den Job als Ministerin an.

Und was sagte sie?

Oh je, nein, nein, das glaube ich nicht. Heute ist sie Bundeskanzlerin.

Und Sie sind wieder Anwalt in Berlin. Wenn Sie den zweijährigen Ausflug in die Politik betrachten, was war für Sie der schönste, der glücklichste Moment? Der Tag der Einheit am 3. Oktober oder der Fall der Mauer?

Weder noch. Für mich war es der 12. September 1990, der Tag, an dem das 2+4 Abkommen in Moskau unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag war für mich wie ein Friedensvertrag. Und diesen Vertrag habe ich unterschrieben. Damit war der Weg zur Einheit frei. Darauf bin ich sehr stolz und auch sehr glücklich.

Und Sie haben den Füller, mit dem Sie unterschrieben haben einfach mitgenommen, geklaut?


Ja habe ich. Ich gestehe es. Als ich sah, wie die anderen Außenminister das auch ganz heimlich taten, habe ich mir gesagt: Den nehme ich auch mit. Als Souvenir.

Schmerzt es Sie heute, wenn über Kohl als "Kanzler der Einheit" geschrieben wird?

Nein. Aber die Arbeit zur Einheit haben viele gemacht. Und wir beide. Kohl in Bonn und ich in Berlin. Die Geschichte kennt aber immer nur einen Sieger.

Wann wussten Sie, dass die DDR nicht überlebensfähig sein wird?


Ich war Minister im Kabinett Modrow. Und in dieser Funktion habe ich alle Daten und Fakten erfahren. Das war sehr sehr erschütternd. Es gab keinen anderen Weg als die Einheit. Und um ehrlich zu sein: Ich wollte auch keinen anderen Weg.

Waren Sie manchmal an dem Punkt, wo sie sagten: Ich kann nicht mehr. Ich gebe auf?

Nein. Das entsprach nicht dem Verantwortungsgefühl, was ich von meinen Vorfahren ererbt hatte. Wir waren als Vertriebene nach Brandenburg gekommen. Wir haben uns immer in der Verantwortung für die Gesellschaft gesehen. Daraus flieht man nicht. Aber ich gestehe ihnen: Manchmal hatte ich das Gefühl, ich zerbreche an der Verantwortung, die ich in diesen Tagen bis zur Einheit hatte.

Haben Sie damals auch Angst im Amt gehabt?


Ich nicht, aber meine damalige Frau. Ich habe damals in der Tat Drohungen um mein Leben bekommen. Der damalige Innenminister Peter-Michael Distel wollte mir sogar eine Pistole geben. Da habe ich zu ihm gesagt: Wissen Sie, ich werde damit wahrscheinlich mir eher ins eigene Bein schießen als sonst was. Das lassen Sie also mal.

Und wie haben Sie reagiert?

Ich habe als gläubiger Christ gesagt: Entweder sind wir in Gottes Hand oder..Wir waren in Gottes Hand. Es ging alles gut. Aber ich wog nur noch 51 Kilo, ich rauchte zu viel und trank zu viel Kaffee. Das ging sehr an die Substanz.

Beginnt jetzt mit 70 Ihr Ruhestand?


Was denken Sie? Ich bin nach wie vor Rechtsanwalt. muss Englisch lernen, ich bin sehr engagiert in vielen Gremien. Ich habe genug zu tun. Ich habe 11 Enkel, eine zauberhafte Frau - was will man mehr?

Am Ende sind Sie eben doch auch ein Sieger. Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag!

 Erschienen: 1. März 2010 
 
Peter Brinkmann  | brinkmann.peter@gmail.com