Wie war Ihr Name? Peter Brinkmann? Sind Sie nicht derjenige, welcher, damals, 1989?“ Das Gesicht meines Gesprächspartners leuchtet freudig erregt auf. „Ja, der bin ich.“ Und bald ist eine detailreiche Erzählung im Gange, deren Kern die berühmten Sekunden sind, in denen der Hauch der Weltgeschichte ziemlich unverhofft den Berliner Journalisten Peter Brinkmann streifte. Nicht nur das. Brinkmann kann sich zugutehalten, dass er mitgeholfen hat, diesen Hauch in die entscheidende Richtung zu lenken. Er ist ein freundlicher älterer Herr, er hat in bald 70 Lebensjahren allerhand erlebt. Aber um jene paar Sekunden seines Lebens, die sich bald zum 25. Mal jähren werden, kreist bei ihm sehr vieles.
Sein Platz am Abend des 9. November 1989 war im Pressezentrum der Regierung der DDR in der Mohrenstraße in Ostberlin. Genau gegenüber dem Vortragenden Günter Schabowski, Sekretär für Informationswesen des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Peter Brinkmann ist ein Mann mit einer Mission. 15 Minuten lang berühmt zu sein, das sollte – Andy Warhol zufolge – jedem Erdenbürger zustehen. Peter Brinkmann kämpft um nicht einmal 15 Sekunden. Aber die waren, und darauf beharrt er, die entscheidenden Sekunden.
Sie ist oft geschildert worden, die damalige Situation im Pressezentrum. Auch Ewald König, im Jahr 1989 Deutschland-Korrespondent der „Presse“, war mit dabei, als Schabowski langatmig über die Ergebnisse der Sitzung des Zentralkomitees referierte. Schabowski hatte an der Sitzung gar nicht teilgenommen. Parteichef Egon Krenz hatte ihm im Vorübergehen noch einen Zettel zugesteckt. Irgendetwas über Reiseregelungen, das wusste Schabowski, genauer hatte er nicht hingeschaut.
Den Sommer über hatten tausende DDR-Bürger versucht, ihrem Land und seiner kommunistischen Diktatur ade zu sagen. Sie hatten sich von Ungarn aus nach Österreich durchgeschlagen, über die grüne Grenze, die schon Stellen ohne Stacheldraht aufwies. Sie hatten zu Hunderten in der westdeutschen Botschaft in Prag kampiert und damit ihre Ausreise durchgesetzt; sie demonstrierten zu Tausenden in Leipzig und Ostberlin, mit der Forderung nach Reisefreiheit auf vielen Transparenten.
Die DDR-Oberen hatten versucht, ein wenig Druck aus dem Kessel zu nehmen, mit dem Ansatz zu einem neuen Reisegesetz, das aber Züge eines bürokratischen Monsters trug. Und jetzt wollten sie es ein zweites Mal versuchen, mit neuen Reisevorschriften, die etwas lockerer formuliert waren – aber keineswegs so locker, wie das die Welt in dieser Nacht zu verstehen glaubte.
Riccardo Ehrman, Journalist der italienischen Nachrichtenagentur Ansa, fragte Günter Schabowski gegen Ende der Pressekonferenz nach dem Reisegesetz. Und Schabowski zog den berühmten Zettel hervor, in dem den DDR-Bürgern erstmals „Privatreisen nach dem Ausland ohne Vorliegen von Voraussetzungen“ verheißen wurden.
Und jetzt schlugen Peter Brinkmanns Sekunden. Denn die rasch hingerufene Frage „Ab wann? Sofort?“, so oder so ähnlich von mehreren Kollegen zeitgleich formuliert, hörte Schabowski am vernehmlichsten aus Brinkmanns Mund. Peter Brinkmann weiß das, denn er hat es sich von Schabowski schriftlich bestätigen lassen. Sogar den zeugenschaftlichen Vermerk „an das Gesicht (Brille, gelichtetes Stirnhaar) erinnere ich mich sehr gut“ hat Schabowski hinzugefügt. Was folgte, war der dahingestammelte Wendepunkt des Weltgeschehens aus Schabowskis Mund: „Das tritt, nach meiner Kenntnis, ist das sofort, unverzüglich.“
Ausgerechnet ein „Bild“-Mann. Peter Brinkmann lächelt. „Ja, Riccardo Ehrmann hat den Ball aufgelegt. Aber ich habe dafür gesorgt, dass er ins Tor gehen konnte.“ Ausgerechnet er, der Mann von der „Bild“-Zeitung, war am Drücker des Weltgeschehens.
Die eigentlichen Maueröffner waren die DDR-Bürger mit ihrem couragierten Massenprotest, daran besteht kein Zweifel. Aber einige andere hatten auch noch kräftig mitgeholfen in dieser Nacht. So etwa ARD-Moderator Hajo Friedrichs, der etwas von „Toren in der Berliner Mauer, die weit offen stehen“ fabulierte, als sich noch kein einziges Tor geöffnet hatte, und Oberstleutnant Harald Jäger von den DDR-Grenztruppen, der angesichts des von Hajo Friedrichs befeuerten Massenansturms gegen alle Order den ersten Grenzschranken hochgehen ließ.
Den Ruhm des Maueröffners, den müsste er sich fairerweise mit einem Österreicher teilen. Es war ein schrulliger Pressefotograf aus dem Salzburgischen, der im Frühsommer des Jahres 1989 den wichtigsten optischen Einfall für das heraufdämmernde neue Zeitalter hatte. Bernhard Holzner war jahrzehntelang der Hof-Fotograf der österreichischen Außenminister, und er war es, der damals zu Alois Mock sagte: „Ihr müsst's etwas machen, was auf Fotos und im Fernsehen gut ausschaut. Nehmt's euch ein Werkzeug und schneidet's den Stacheldraht durch!“